Jeden Sonntag Gottesdienst

“Jeden Sonntag Gottesdienst”. Zu diesem Thema hat der Berner Professor für Homiletik, Liturgik und Kirchentheorie, David Plüss, an einer Tagung am 17. Mai 2018 in Aarau folgende Thesen verabschiedet, die hier dokumentiert sind.

  1. Der Gottesdienst ist beides: Wort, Anrede und Segen Gottes – und Antwort der Menschen (Römer 12). Das eine nicht ohne das andere. Gottesdienst ist dialogisch, Liturgie responsiv und im Wesentlichen Gebet. Wenn der Gottesdienst diese Dynamik und Intensität gewinnt, sind Grösse der Gemeinde und Rhythmus der Feier weder Thema noch Problem.

  2. Kirche ist da, wo Menschen gerufen werden und sich versammeln, hören und antworten, essen und trinken, hinausgehen und handeln. Der Gottesdienst ist sichtbare Kirche in vielerlei Gestalt. Ohne Gottesdienst verdampft die Kirche. Sie wird unkenntlich.

  3. Es gibt nicht den einen Gottesdienst, sondern eine grosse Vielfalt liturgischer Formen. Liturgie ist auch Kultur und Zeitgeist, Geschmack und Stil. Die verschiedenen Gestalten und Stile – nicht alle, aber die meisten – haben ihr Recht und ihre Würde. Jede liturgische Gestalt hat ihre Stärken und Grenzen. Liturgische Homogenisierungen sind zu vermeiden.

  4. Allerdings empfiehlt es sich, vor Ort und in einer Gemeinde einen bestimmten Stil (mit Varianten) zu entwickeln und zu pflegen. Und zwar als Liturgie der Gemeinde und nicht einer Pfarrperson. Personalisierte Liturgien führen in Sackgassen.

  5. Der Predigtgottesdienst hat Charme und Kraft, kann inspirieren und befreien, trösten und bewegen; aber er hat eine didaktische Schlagseite. Er tendiert zur Pädagogisierung mit Motivationsphase, Themenansage und rotem Faden. Er steht in der Gefahr, zu einer Form der Erwachsenenbildung zu mutieren, zum Bildungsangebot einer Pfarrperson, das kollabiert, wenn sich niemand dafür interessiert.

  6. Seit rund fünfzig Jahren hat der wöchentlich gefeierte Gottesdienst in den protestantischen Volkskirchen für viele Mitglieder seine Plausibilität verloren, zumindest in Bezug auf ihre eigene Teilnahme. Die meisten besuchen Gottesdienste jahreszyklisch (an Weihnachten) oder lebenszyklisch (Kasualien). Viele besuchen den Gottesdienst ungefähr monatlich. Ein monatlicher Rhythmus liesse sich womöglich etablieren und kultivieren.

  7. Räume sind für den Gottesdienst wichtig. Sie sind wichtiger als Rhythmen. Unsere Kirchen sind für Weihnachten und Konfirmationsfeiern gebaut. An gewöhnlichen Sonntagen ist das Kleid oft zu gross und schlottert. Für stimmige, berührende Feiern sind dezidierte räumliche Arrangements unabdingbar.

  8. Qualität ist wichtiger als Quantität. Sorgfältig in einem Team vorbereitete und engagiert gestaltete Gottesdienste haben eine Kraft und eine Ausstrahlung, auch wenn sie in grösseren Abständen gefeiert werden.

  9. Eine Vielfalt liturgischer Stile und Kulturen führt auch zu einer Vielfalt liturgischer Rhythmen.